In Syrien versucht ein Internationales Forschungszentrum, die Lebensbedingungen von Menschen in Trockengebieten zu verbessern. Simple Methoden bringen mehr als Hightech. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 21. September 2006 Griechische Inschriften und Kreuzsymbole zieren die Fassade der Gemeindeverwaltung von Chanasser im Norden Syriens und zeugen von der einst byzantinischen Herrschaft über das Gebiet. Der heutige Bürgermeister ist Tscherkesse. Flüchtlinge aus dem Kaukasus erhielten vor hundert Jahren vom türkischen Sultan die Bewilligung, in Syrien zu siedeln. Dreizehn Tscherkessen, so will es die Sage, kamen nach Chanasser. Zwölf siedelten, der letzte aber sagte voraus, dass das grüne Tal austrocknen werde.
Zu den dänischen Mohammed-Karikaturen. Medientagebuch in der «WOZ Die Wochenzeitung» vom 16. Februar 2006 Medientagebuch zum Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 16. Februar 2006 Merkwürdig, wie viel anlässlich des Karikaturenstreits darüber
debattiert wird, ob man Mohammed karikieren dürfe. Als ginge es darum – und nicht um den Kontext dieser Karikaturen: «Jyllands-Posten» veröffentlichte diese mit dem klaren Ziel, eine Menschengruppe zu provozieren, gegen die die Zeitung seit Jahren anschreibt. Und als die Provokation nicht zündete, suchte die Redaktion hartnäckig, bis sie in einem fundamentalistischen Kopenhagener Imam endlich jemanden fand, der die gewünschte Reaktion zeigte und eine Hasskampagne gegen Dänemark lostrat (siehe WOZ Nr. 6/06). Selten war in einem Konflikt so offensichtlich, wie die AufwieglerInnen beider Seiten sich dankbar in die Hände arbeiten. Die Jugendanwaltschaft klagt ein Kind an, nachdem es von einem Auto angefahren worden ist. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 16. Februar 2006 Es gibt einen verräterischen Satz in der Anklageschrift der Jugendanwaltschaft Schaffhausen (JugA) gegen Susanne Koch: «Für Verkehrsteilnehmer war diese Vormarkierung auf der Strasse schlecht erkennbar.» Die Rede ist von einer Stelle der Schaffhauser Emmersbergstrasse, an der sich normalerweise ein Fussgängerstreifen befindet, wo zu dem Zeitpunkt, von dem hier die Rede ist, aber der Belag erneuert wurde, sodass der Streifen lediglich mit Kreidestrichen markiert war. Für FussgängerInnen sind solche provisorischen Markierungen gut sichtbar; «schlecht erkennbar» sind sie einzig für (ortsunkundige) MotorfahrzeugfahrerInnen. Die Formulierung der JugA impliziert: VerkehrsteilnehmerIn ist, wer sich mit Motor bewegt.
Alle reden von Drittmitteln und Technologietransfer, niemand untersucht die Folgen. Dabei droht der Ausverkauf der unabhängigen, öffentlichen Wissenschaft. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 15. Dezember 2005 Jörg Schüpbach ist Leiter des Nationalen Zentrums für Retroviren (NZR), Jürg Böni sein Stellvertreter. Dieses Institut des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) entwickelte 1992 ein Verfahren namens Pert zum Nachweis unbekannter Viren. Vermarktet wird Pert von der dafür gegründeten Firma TPC-The PERT Company in Wettingen. Die Firma gehört Jörg Schüpbach und Jürg Böni.
Ein kleines Beispiel für gelungenen Technologietransfer. Schüpbach und Böni initiierten die Patentierung des von ihnen erfundenen Verfahrens und kauften dem Bund als Betreiber des NZR das Patent ab, indem sie Entwicklungs- und Patentierungskosten zurückerstatteten. Aber das Beispiel ist nicht unproblematisch: Wenn Schüpbach und Böni das Verfahren in Fachartikeln preisen, sprechen sie dann als Wissenschaftler - oder als Unternehmer, die ihr Produkt verkaufen wollen? Eine kleine Fliege steht im Zentrum des molekularbiologischen Forschungsinteresses. Erkundungen in einer seltsamen Welt. – WOZ Die Wochenzeitung vom 8. September 2005 An die Wände sind Cartoons gepinnt: Fliegen, die wie Menschen miteinander sprechen; Menschen, die von Ausserirdischen als Versuchstierchen gehalten werden. «Willkommen in unserer Fliegenwelt» steht auf der Homepage der Forschungsabteilung. «Mit unserem biologischen Fachwissen im Hintergrund ist das Leben mit der Fliege ungeheuer spannend», sagt ein Wissenschaftler, und er sagt es mit Begeisterung. Rund fünfzehn Jahre zählt sein «Leben mit der Fliege» bislang.
Rezension von Marcia Angell: Der Pharmabluff. Wie innovativ die Pillenindustrie wirklich ist, Bonn/Bad Homburg 2005 – Der gewichtigste Angriff auf die Pharmaindustrie erfolgt aus dem Zentrum des medizinischen Establishments heraus. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 30. Juni 2005 ![]() Ist «Big Pharma» innovativ? Kaum. Sind neue Medikamente gut? Selten. Sind die Medikamentenpreise gerechtfertigt? Nein. Belügen die Pharmafirmen die KonsumentInnen? Ja. Korrumpiert die 500-Milliarden-Franken-Industrie am Ende gar Politik, Wissenschaft, ÄrztInnen? Und wie. Wenn eine Buchautorin solche Verdikte über eine ganze Branche fällt, muss sie entweder eine durchgeknallte Wirtschaftshasserin sein. Oder es muss mit dieser Branche sehr viel im Argen liegen. Marcia Angell, von deren Buch «Der Pharma-Bluff» hier die Rede ist, ist ganz bestimmt nicht Ersteres, sondern eine der renommiertesten Stimmen im medizinischen Wissenschaftsbetrieb: Sie war jahrelang die Chefredaktorin des «New England Journal of Medicine», der einflussreichsten Wissenschaftszeitschrift der Welt. Wenn ihr Wörter wie «räuberisch» oder «Erpressung» aus der Feder fliessen, so basiert ihr Urteil auf jahrelanger Erfahrung. Weshalb gibt es kaum Widerstand gegen den alltäglichen Verkehrsterror? Zwei Thesen, vier ExpertInnen. – Geschrieben für den Auto-Schwerpunkt der «WOZ Die Wochenzeitung» vom 3. März 2005 anlässlich des Jubiläums-Autosalons in Genf. Gebote einer vernünftigen Verkehrserziehung: Lass dich nicht verarschen! Spiele auf der Strasse – sei höflich, wenn ein Auto kommt, und lass es vorbei – aber spiel zuerst dein Spiel zu Ende! Lach den aus, der glaubt, sein Fortkommen sei wichtiger als dein Spiel!
Natürlich geht vernünftige Verkehrserziehung nicht. Ein Viertel der fünfjährigen Kinder in der Stadt und ein Drittel auf dem Land dürfen nicht unbeaufsichtigt ins Freie – in erster Linie, weil die Eltern den Strassenverkehr fürchten. Realistische Verkehrserziehung: Pass auf! Kusche! Sei demütig! Interview mit Gerd Grasshoff über Alfred Einstein – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 13. Januar 2005 Gerd Grasshoff ist Professor für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Bern und präsidiert das Exekutivkomitee «Forum Einstein 2005 Bern». Zusammen mit Ann M. Hentschel hat er «Albert Einstein. Jene glücklichen Berner Jahre» sowie den Führer zum Einstein-Pfad Bern herausgegeben.
Das schwierige Wort. Eine Kolumne von Marcel Hänggi in der «WOZ Die Wochenzeitung», 2003 / 2004
Unweit von Genf werden Milliarden verlocht, um exotische Theorien über den Aufbau der Materie zu testen – seit fünfzig Jahren. Eine tolle Sache. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 1. April 2004 ![]() Das Forschungszentrum des Cern an der schweizerisch-französischen Grenze bei Meyrin ist ein besonderer Ort. Nicht nur für irdische Verhältnisse. 1995 gelang hier die Herstellung von neun Antiwasserstoffatomen – nach menschlichem Ermessen waren dies die ersten Antiatome, die je im Universum existierten. Ich fragte den pensionierten Cern-Physiker Klaus Bätzner, wie man sich fühle, wenn man etwas schaffe, das nicht einmal Gott geschaffen habe. «Kein Problem», sagte Bätzner: «Wenn man an Gott glaubt, dann hat er Antiatome geschaffen – am Cern, im Jahr 1995.» Sarajevo hat zwei Universitäten, aber keine tauglichen wirtschaftlichen und politischen Strukturen: Wie funktionieren Wissenschaft und universitäre Bildung nach dem Krieg? – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 26. Februar 2004 ![]() Das Land funktioniert nicht, nicht wirtschaftlich und nicht politisch. Die über weite Strecken mafiose Wirtschaft lässt die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung unbeschäftigt. Nicht nur der Krieg hat die bosnische Ökonomie zerstört, sondern auch der wirtschaftliche Ausverkauf nach einer zu schnellen Privatisierung. Das Dayton-Abkommen von 1995 beendete den Krieg, schuf aber ein Staatsgebilde aus zwei «Entitäten» (der Föderation von Bosnien-Herzegowina und der Serbischen Republik), die neben- statt miteinander existieren. Die Kriegsgewinner teilen sich die Macht, und nach wie vor würden viele katholische BosnierInnen lieber zu Kroatien, viele orthodoxe lieber zu Serbien gehören. Geschichtswissenschaft und Krieg – Die Belagerung ist vorbei. Doch das intellektuelle Klima Sarajevos hat seit dem Friedensschluss nichts gewonnen. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 26. Februar 2004 ![]() Für November 1992 war in Sarajevo eine Tagung über die Geschichte der Juden in Bosnien geplant. Anlass war ein trauriger Jahrestag: 500 Jahre zuvor vertrieb das Königreich Spanien seine Juden. Viele dieser sephardischen Juden flüchteten auf den Balkan, unter anderem nach Bosnien. Es ist eine grausame Ironie des Schicksals, dass zum Zeitpunkt der Tagung Sarajevo selbst Opfer eines Kriegs war, in dem Menschen aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Identität vertrieben wurden, in dem Kriegsparteien versuchten, «feindliche» Kulturen zu zerstören wie seinerzeit die katholischen Könige das spanische Judentum. Armut und Krankheit, politische Gewalt und ökonomische Gewalt, Heiratsverbot und Zwangspsychiatrisierung, Kinderkriegen und Kindersterben: Wie viel lässt sich vom Leben zufällig ausgewählter Menschen aus dem 19. Jahrhundert rekonstruieren? – «WOZ Die Wochenzeitung vom 18.12.2003 Es war ein trister Frühling nach einem zu langen Winter. Wenn Johann Kumschick, Leonz Oetterli oder auch Kaspar Pfenniger keine Wolke und keinen der seltenen Sonnenstrahlen zu Gesicht bekamen, so drang das Wetter doch mit seiner Kälte und Feuchtigkeit bis zu ihnen vor: in die Luzerner Jesuitenkirche. Zwei Monate verbrachten sie hier, in der in ein Notgefängnis umfunktionierten, mit Stroh ausgelegten, zum barocken Stuck- und Freskohimmel stinkenden Kirche, einen offenen Bottich als Abort in ihrer Mitte. Ausgerechnet in der Jesuitenkirche waren sie eingesperrt, zusammen mit hunderten, die wie sie am 31. März ausgezogen waren, um gegen die Berufung der Jesuiten zu kämpfen und gegen die konservative Regierung; ausgerechnet hier also sassen sie für ihre liberale Gesinnung oder für die Gesinnung derer, von denen sie abhingen auf Gedeih und Verderb.
Steigt der Mensch in ein Auto, wird er ein anderes Wesen, sagt Verkehrsexperte Hermann Knoflacher*. Von Appellen hält er wenig. – WOZ Die Wochenzeitung vom 16. Oktober 2003
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AutorMarcel Hänggi, Zürich Themen
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